Oliver Richters: Marktwirtschaft zwischen Utopie und Realität
Samstag 25.1.2020
Oliver Richters: Marktwirtschaft zwischen Utopie und Realität
Es gibt einfache und gute Möglichkeiten und Maßnahmen, die wirklich großen Teilen der Bevölkerung helfen würde. Das Problem der Umsetzbarkeit ist ein Problem mangelnder Demokratie:
Lobbyisten drücken ihre Anliegen durch, die Stimmen des Volkes werden praktisch nicht mehr gehört.
Größte Gefahr für die Demokratie ist die Einflussnahme der Industrie
Zum Gerechtigkeitsprinzip: DIW-Studie (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) Was ist Gerechtigkeit? Zur Frage nach einer gerechten Wirtschaftsordnung:
Vier Prinzipien von (Verteilungs-)Gerechtigkeit:
Gleichheit – Bedarf – Verdienst – Anrecht
bzw. Versorgungsprinzip Bedarf Leistungsprinzip Anrecht
Das Thema Bedarf wird bei uns nicht genügend berücksichtigt: Kann man Bedarf noch besteuern!??
Frage: Was ist Leistung? Die Frage der Anerkennung von Leistung hängt davon ab, ob die Einschätzung des Leistungserbringers sich mit der des Leistungsabnehmers deckt.
Was in einer Gesellschaft als Leistung anerkannt ist, kann extrem differieren, z.B. Pflege von alten Angehörigen, Erziehung von Kindern, landwirtschaftliche Produkte …
Menschen entscheiden darüber dezentral und auch als Gesamtgesellschaft über die Anerkennung von Leistung. Das Maß für die Anerkennung: Geld.
Idee von Geld: Ohne konkrete Gegen-Leistung eine Leistung in Anspruch nehmen zu können. Leistung und Gegenleistung können voneinander getrennt werden; das ermöglicht wirtschaftliche Autonomie; es ermöglicht wirtschaftliche Beziehungen ohne eine soziale Beziehung aufnehmen zu müssen. Ohne Geld könnten wir die Vorgänge in unserer komplexen Gesellschaft und Wirtschaft überhaupt nicht realisieren – Wirtschaft wäre so gar nicht möglich (Tauschwirtschaft).
Ich entscheide täglich über die Anerkennung von Leistung in freier Entscheidung. Jeder von uns tut das! Wie kriegen wir da eine Wirtschaft so koordiniert, dass das am Ende trotzdem funktioniert: Direkte Absprachen wer wann was wie produziert, wären zu kompliziert.
Marktwirtschaft ist also der Versuch, das Ganze mit Regeln zu koordinieren, ohne dass irgendwer zentral eingreifen muss. Einerseits gibt es bestimmte Freiheiten, andererseits aber Regeln, die das Funktionieren garantieren.
So gesehen ist „Freier Markt“ eigentlich ein Widerspruch in sich: Märkte funktionieren nur, wenn darin Regeln gesetzt sind: Man braucht Sanktionsmechanismen z.B. für Fehlverhalten.
Beispiel: „Wenn Banken sich darauf verlassen können, dass sie schon rausgehauen werden, dann ist das für die Marktwirtschaft kontraproduktiv“:
Hilfen für Banken oder Großunternehmen sind nicht im Sinne einer Marktwirtschaft.
Unternehmen soll man sterben lassen dürfen, Menschen nicht! Die Privatinsolvenz bedeutet zwar eine harte Zeit, aber für die Menschen wenigstens eine Überlebensmöglichkeit: Der Mindestbedarf für alle muss sichergestellt werden!
„Too big to fail“ darf es nicht mehr geben!
Commonsforschung: Auch für Allmende braucht es Sanktionsverhalten!
Marktwirtschaft versucht durch Konkurrenz Kooperation herzustellen:
Wettbewerb ist ein Sanktionsmechanismus, wichtig dafür, dass wir am Ende alle kooperieren. Wenn wir auf Wettbewerb verzichten, verlieren wir ein wichtiges Instrument der Marktsteuerung.
Einwurf: Es gibt einen ethischen Unterschied zwischen Unternehmer und Manager: Manager müssen keine Verantwortung tragen. Fehlverhalten im Markt wird nicht sanktioniert. In der Praxis gibt es oft eben keine Sanktionsmöglichkeiten bzw. es gibt zu viele Schlupflöcher: eigentlich ist es Betrug!
Einwurf: Der Staat hat doch kaum tatsächliche Sanktionen festgelegt, bzw., durchgesetzt. Die Prinzipien werden in der realen Politik verletzt! Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis: In der Praxis wird Sanktionierung häufig durch Eingriffe des Staates verhindert vgl. Dieselskandal, Bankenrettung.
Das ist das Kernproblem: Der zentrale Punkt, wo unser jetziges marktwirtschaftliches System falsch läuft: Die Stellen, wo die drei wichtigsten Prinzipien (Gleichheit – Bedarf – Leistung) von Gerechtigkeit verletzt werden: Leistungsloses Einkommen. Dem steht keine Gegenleistung gegenüber.
Damit ist kein Hartz IV oder bedingungsloses Grundeinkommen gemeint. Die sind aus den Gerechtigkeitsprinzipien herleitbar: Allerdings: Ein bedingungsloses Grundeinkommen hält Richters nicht für zielführend, da wir bessere Möglichkeiten der Verteilung bei Bedarf haben: Da alle anderen Maßnahmen für Bedürftigkeit damit aufgegeben werden, entsteht eine Verschiebung von Bedarf nach Gleichheit – das ist nicht sinnvoll! Trotzdem ist es grundsätzlich wichtig, dass niemand zurückgelassen wird.
Leistungslose Einkommen: Denen steht keine Leistung gegenüber: Diejenigen, die den Nutzen haben, haben keinen Aufwand – den haben andere.
Wenn wir Marktwirtschaft gestalten wollen, müssen wir darauf achten, dass dem Einkommen immer eine Gegenleistung gegenübersteht. D.h. wir müssen uns die Stellen ansehen, wo diejenigen, die den Nutzen haben, keine Leistung erbracht haben.
Der Wert des Bodens ist primär die gute Lage: Infrastruktur, Umgebung, Ansehen …
Besonders bei Bodenspekulation: Die Kommunen haben den Aufwand, die Spekulanten den Ertrag. Für die Diskussion um Mietpreise, Hauspreise: Hier sind klare Unterscheidungen zu machen zwischen Haus und Boden – das wird immer vermischt.
In der volkswirtschaftlichen Rechnung wird Boden einfach als Kapital gesehen; das müsste aber genau unterschieden werden, denn bestimmte Kapitalien kann ich vermehren, Boden nicht.
Vorschlag: Nicht die Gebäude werden besteuert, sondern die Böden: Der Bodenwert, also eine Grundsteuer aufgrund des Bodenwerts. Ein entsprechendes Gesetz soll eingeführt werden, aber z.B. in BY wird es ein reines Flächenmodell: Nur m², nicht der Wert aus der Lage zählen: Im Grunde eine Subventionierung derer, die bereits viel haben.
Weitere Maßnahme: Diejenigen, die diese Grundstücke besitzen, müssen mehr bezahlen, wenn sie nicht bebaut werden. Vorschlag dazu: Grundstücke nach den Handelswerten besteuern, damit es sich nicht mehr so lohnt, auf Boden zu spekulieren.
In den Städten ist das finanziell so zu gestalten, dass die Leute das auch bebauen. Höhere Grundsteuer, wenn das Grundstück nicht bebaut wird: Das muss richtig Geld kosten!
Machtbegrenzung – das Markthandeln beschränken – Rohstoffpolitik und Bodenpolitik: Boden und Rohstoffe begrenzen! Keine leistungslosen Einkommen!
Analog: Selbstverständlich!? Steve Jobs hat Großes geleistet!? Dazu ist zu sagen, dass er ganz viele Dinge einfach vom Staatswesen übernommen hat: GPS, Staatsinvestitionen, militärische Forschungen, davon hat Steve Jobs profitiert und nichts dafür gezahlt! Und jetzt will er über Steuersparmodelle, Steuerabkommen und Steueroasen sich auch noch davor drücken, die notwendigen Finanzierungen des Gemeinwesens zu leisten!?
Für Apple, Facebook & Co ist dringend eine Machtbegrenzung notwendig! Die Machtkonzentration ist gefährlich für die Demokratie!
Genauso: Die Spitzensteuersätze abzusägen: „Hier sollten wir die Liberalen einfach nicht argumentativ damit durchkommen lassen, dieses Prinzip der angeblichen Leistungsgerechtigkeit immer noch dafür zu benutzen, Menschen, die eh schon nichts haben, auch noch zu despektieren, sondern darauf aufmerksam machen, dass die wesentlichen Gerechtigkeitsprinzipien damit verletzt werden.“
Problem: Wenn wir Machtkonzentration einmal zugelassen haben, werden wir sie nur schwer wieder loswerden.
Aber wir könnten, wenn wir es wirklich ernst meinten, die Kartellämter und die Fusionskontrolle in der EU stärken und klare Regeln setzen. z.B. nicht mehr erlauben, je nach Bedarf unterschiedliche Nationalitäten anzunehmen, um einfach ihre Steuern und Abgaben zu umgehen oder Regeln nach Bedarf zu verletzen.
Wir haben viele Gesetze, die die Großen einfach bevorzugen, da brauchen wir uns nicht wundern, wenn die Großen unsere Wirtschaft dominieren!
Richters hofft auf Klein- und Mittelständische Unternehmen, dass die endlich aufstehen und sich dafür stark machen, die Großen in die Schranken zu weisen.
Wie setzen wir dem Markt Grenzen?
Einwurf: Vermögensumverteilung: Wenn wir das nun leisten können, es von oben wieder nach unten zu verteilen, besteht dann nicht die Gefahr, dass dann die unteren Einkommensschichten sagen: „Prima, endlich können wir einen neuen Fernseher kaufen!“ – Das würde doch den Konsum wieder anheizen!
Richters: Die Gefahr ist da, dass wir das soziale Problem auf Kosten der Umwelt lösen. Deshalb brauchen wir Obergrenzen für den Verbrauch. Wir brauchen explizite ökologische Grenzen, die wir der Wirtschaft setzen müssen, damit das nicht mehr passieren kann. Wir würden dann z.B. weniger Privatjets, dafür aber mehr Fernseher haben, aber das würde dann innerhalb dieser Grenzen passieren. Ich möchte aber, dass die Leute, die bisher nicht in einer beheizten Wohnung leben können, in Zukunft sich eine beheizte Wohnung leisten können! Das muss dann eben an anderer Stelle wieder eingespart werden!
Wie soll Macht begrenzt werden? – Wie könnte eine Utopie unserer Marktwirtschaft ausschauen?
Wir brauchen Machtbegrenzung, Rohstoffpolitik und Bodenpolitik, die ökologische und soziale Ziele kombiniert: eine Ökologische Steuerreform!
Macht und Politik ist nicht transparent: Das muss geändert werden!
Ökologisch-soziales Dilemma: An „drei Zipfeln zugleich ziehen“: Die Machtkonzentration ist aus wirtschaftlichen und demokratischen Gründen zu begrenzen; außerdem haben wir ein massives Problem mit Rohstoffen und Umweltfragen; hinzu kommt das Einkommen aus Steigerung des Bodenwerts.
Wie bekommen wir das durchgesetzt?
Ausrichtung für die Zukunft: Gemeinwohlökonomie und Ordoliberalismus: Zum Ordoliberalismus: Wir sollen gute Regeln setzen und dann die Leute in Ruhe lassen. Unser Problem: Wir lassen die Leute in Ruhe, haben aber nichts gesetzt!
GWÖ – Gemeinwohlökonomie dagegen setzt viele kleine Regeln und Zeichen – viel kleinteiliger als der Ordoliberalismus; das sieht Richters als nicht nötig an.
Entsprechend auch PWÖ – Postwachstumsökonomie-Konzepte: der Ordoliberalismus ist hier viel breiter aufgestellt.
Aber das Resultat soll auch hier sein: Gemeinwohl!
Auf der untersten Ebene ist anzusetzen: Kommunal: GWÖ
Nähe als Möglichkeit, viele Dinge zu erledigen und zu tun, die sonst durch die Industrie erledigt werden müssten.
Einkommensteuer muss reformiert werden: Sie fängt viel zu weit unten an und geht nicht wirklich hoch. In den oberen Etagen müsste sie überproportional steigen.
Präsentation der Ergebnisse des Workshops
Oliver Richters: Utopie und Marktwirtschaft
Was war uns im Workshop wichtig:
Drei Themengebiete :
- Macht und Machtverteilung: Eine gute Machtteilung in der Demokratie aber keine Machtbegrenzung in der Wirtschaft: Wie können wir das Gleichgewicht zwischen Politik und Wirtschaft wieder herstellen – dieser Machtkonzentration begrenzen?
- Markt: Regulierung, Begrenzung eines Marktes als Mechanismus, wie können wir das Markthandeln beschränken: Rohstoffpolitik und Bodenpolitik
- Bodensteuerreform: Notwendig, weil hier Investoren Nutzen daraus ziehen, ohne tatsächlich etwas dazu beigetragen zu haben: Leistungsloses Einkommen
Spannungsfeld zwischen unterschiedlichen Prinzipien von Gerechtigkeit Gleichheit, Bedarf, Anrecht, Leistung
Richters: An welchem Zipfel ziehen wir zuerst? Drei wichtigste Zipfel:
- Machtkonzentration
- massives Rohstoff und Umweltproblem
- massives Problem mit Einkommen aus Steigerung des Bodenwerts.
Fragen:
- Wie soll Macht begrenzt werden? – Wie setzen wir dem Markt Grenzen?
- Wie lassen sich Dinge identifizieren, die nach den Prinzipien von Gerechtigkeit allen aufstoßen?
- Wie soll die Ausrichtung in Zukunft sein? Ordoliberalismus: Politik hat Regeln zu setzen und ansonsten die Leute in Ruhe zu lassen. Derzeitige Missinterpretation nach Lars Feld und Euken Institut Freiburg: Wir lassen die Leute in Ruhe, aber wir setzen keine Regeln
- GWÖ (Gemeinwohlökonomie) und PWÖ (Postwachstumsökonomie) sind hier viel kleinteiliger und enger gefasst – zwar konkreter, aber wir brauchen für eine volkswirtschaftliche Ordnung weiter reichende Regelungen.
Impulse für die Weiterarbeit am Thema:
- Wir brauchen Machtbegrenzung, eine Rohstoffpolitik, die ökologische und soziale Aspekte kombiniert:
- Lösungsansatz für GWÖ: Bei den Kommunen anfangen und dort aufbauen, und dann über die politischen Gremien nach oben tragen
Einkommensteuer reformieren: Ab 9.000.– € bereits Steuerabgaben; das müsste weit nach oben gesetzt werden, stattdessen müssten die höheren Einkommensschichten weitaus höher besteuert werden.